Fast ein Jahr nach der ersten Rede des Vorsitzenden der ARGE Klaus-Peter Schiebener, stehen noch immer die gleichen Forderungen im Raum. Hier der Inhalt der Rede:
Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern, liebe Lehrerinnen und Lehrer,
ich spreche für die ARGE, das ist die Arbeitsgemeinschaft der Elternräte an den Hamburger Gesamtschulen, ich spreche also für Eltern.
Wir sind hier auf dem Hamburger Rathausmarkt, weil es uns langt.
Dieser Satz kommt mir sehr bekannt vor, und das ist auch kein Wunder, denn es ist noch nicht einmal ein Jahr her, es war am 26. April 1995, wir waren wie heute auf dem Hamburger Rathausmarkt versammelt, und ich sagte: „Wir sind hier auf dem Hamburger Rathausmarkt, weil es uns langt … Wir wünschen uns für unsere Kinder einen lebendigen Unterricht. Doch ist es nicht die Pflicht der Schulbehörde, die Lehrerinnen und Lehrer dabei zu unterstützen?“
Im Namen der Eltern habe ich damals auch Forderungen gestellt, Forderungen, die ich heute uneingeschränkt wiederholen kann. Wir fordern auch weiterhin:
- kleinere Klasse
- freie Lehr- und Lernmittel,
- Schulräume als Lebensräume, in denen das Arbeiten und Lernen Spaß macht,
- keinen bedarfsdeckenden Unterricht durch Pädagogik-Azubis, den Referendarinnen und Referendaren,
- den Erhalt der Berufsvorbereitungsklassen,
- vollständige Einhaltung der bestehenden Stundentafeln.
Hat sich seither etwas getan? Ist es zur großen bildungspolitischen Wende gekommen?
Es gibt Probleme zuhauf: Es fehlen Räume, notwendige Baumaßnahmen im Zusammenhang mit Integration werden zögerlich oder gar nicht durchgeführt, die Eingreifwerte PCB-belasteter Schulgebäude werden statistisch heruntergerechnet, anstatt die Gebäude zu sanieren.
Andere Gebäude, bei denen nicht klar ist, ob sie belastet sind, werden einfach zurückgestellt, und die Kürzungsmaßnahmen werden gegen alle berechtigten Einwände durchgepaukt.
Klassenfrequenzen steigen wieder; durch das Umsetzungskarussell kommen vermehrt unmotivierte Lehrerinnen und Lehrer an die Schulen.
Die Hamburger Schulmisere in Zahlen:
Bis 1997 kommen zusätzlich 10.000 Schüler und Schülerinnen an die Hamburger Schulen. Bis zum Jahr 2000 müßten an die 2500 Lehrer und Lehrerinnen zusätzlich eingestellt werden.
Die Schulbehörde gibt jetzt sogar zu, daß mit Engpässen bei der Versorgung mit neuen Lehrern und Lehrerinnen gerechnet werden muß. (Quelle: hlz 1-2/96, Seite 9-10)
Doch es geschieht nichts oder zu wenig.
Zu den eingangs erwähnten Forderungen sind neue dazugekommen:
Wir müssen fordern
- Zurücknahme der Unterrichtsmehrbelastung der Lehrerinnen und Lehrer, Defizite müssen durch Neueinstellungen aufgefangen werden
- Eltern fordern auch, die Arbeitsbelastung der Lehrerinnen und Lehrer endlich auf eine objektive Basis zu stellen, z. B. durch bereits erprobte Arbeitszeitmodelle
- Bereitstellung der notwendigen Ressourcen, um die verläßliche Halbtagsgrundschule wirklich verläßlich einzuführen. Belastete Mütter befürchten eher eine nicht ausreichende Betreuung ihrer Kinder als ein Zuviel.
Gestreßte Lehrerinnen und Lehrer tun Kindern nicht gut, die Folgen sind steigende Unterrichtsausfälle, deshalb:
Schluß mit den Umsetzungen von Lehrkräften aufgrund künstlich geschaffener Überhänge und Defizite. Alle Schulen brauchen Lehrerinnen und Lehrer, denen es Spaß macht, an ihrer Schule zu unterrichten. Und Schluß auch mit der öffentlichen LehrerInnenschelte, sie zeugt von Unkenntnis der Arbeitsbelastung der Lehrerinnen und Lehrer und trägt nichts zur Verbesserung des Schulalltags bei.
Unsere Schulen brauchen engagierte schulische Gruppen, damit soziales Lernen, solidarisches Handeln erlernt werden. Die vielfältigen Aufgaben der Zukunft, die Veränderungen der Arbeitswelt brauchen Menschen, die Dinge grundsätzlich kritisch betrachten können, brauchen Menschen, die miteinander in Konfliktsituationen demokratisch umgehen können.
Die Schulen brauchen mehr junge Lehrerinnen und Lehrer. Doch die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer werden in ihrer Ausbildung immer noch auf Konkurrenzdenken untereinander getrimmt, auf den Einsatz der Ellenbogen, müssen Zensuren erbringen.
Den meisten Erwachsenen kommt beim Thema Schule doch ohnehin ständig die eigene Biographie in die Quere. Wie sollen da neue Lehrerinnen und Lehrer das ausführen, was wir von ihnen erwarten?
Zum Beispiel Lernentwicklungsberichte schreiben, wie sollen sie nach den jeweiligen Fähigkeiten der Kinder fördern, statt auszusortieren? Ihre Ausbildung bereitet nicht auf das reale Schulleben vor. Die Lehrerinnen und Lehrer lernen ihren Beruf jeden Tag by doing, unter den besonderen Bedingungen ihrer Schule, und verbessern dabei (hoffentlich) ihren Unterricht. Das Umsetzungskarussell hat gerade auch in diesem Zusammenhang katastrophale Folgen. Eltern und Schülerinnen und Schüler werden das nicht länger hinnehmen. Eltern sind auch Wählerinnen und Wähler, und Schülerinnen und Schüler werden welche.
Politikerinnen und Politiker sagen immer: „Es ist leider kein Geld da, wir müssen sparen.“ Und weil sie es immer wieder sagen, fangen wir alle langsam an, es zu glauben. Stimmt das denn überhaupt? Wenn es um prestigeträchtige Projekte geht, wird da herumgeknappst?
Hafenerweiterung – muß her.
Verkehrstangenten – aber sicher.
Zum Transrapid muß ich nichts weiter sagen.
Ganz Hamburg knabbert am Hungertuch – stimmt denn das?
Wirtschaftswissenschaftler weisen nach, daß zur Zeit das Vermögen nach oben umverteilt wird. Menschen mit hohen und höchsten Einkommen zahlen null Steuern, wenn sie es klug anstellen.
Der Staat geht pleite, weil ihm nichts Besseres einfällt, als sich zur Hauptsache über die Lohn- und Umsatzsteuer zu finanzieren, und von den Großbetrieben und Konzernen läßt er sich steuerlich austricksen.
Geld also ist da, und es kommt sogar noch immer mehr dazu.
Aber nur wenn ALLE mehr Geld ins Portemonnaie bekommen, klappt es auch wieder mit der Konjunktur, und nur wenn mehr nachgefragt wird, kriegen die Politiker und Politikerinnen vielleicht sogar die Arbeitslosigkeit in den Griff. Aber damit allein ist es nicht getan, wir müssen auch an die Zukunft denken:
Wo liegen denn unsere natürlichen Ressourcen? Sind es unsere Gold- und Diamantminen, unsere Ölfelder? Wohl kaum, die Ressourcen liegen eindeutig im Bildungsbereich. Nur Menschen, die teamfähig, kritikfähig, ökologisch kompetent usw. usf. sind, kurz, die gut ausgebildet sind, das werden die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die etwas zu versteuern haben – und die vielleicht auch eine etwas bessere Bildungspolitik machen.
In diesem Bereich, im Bildungsbereich muß investiert werden. Was im Bildungsetat gekürzt („eingespart“) wird, erscheint früher oder später wieder im Sozialetat als Kosten, nur sind dort die Geldmengen um einiges umfangreicher, und sie steigen dann auch noch immer weiter. Der Sozialetat ist der größte Brocken im Hamburger Haushalt. Im Rathaus scheinen sich diese Tatsachen leider immer noch nicht herumgesprochen zu haben – denn was geschieht? Die Politiker und Politikerinnen engen mit ihren Kürzungen die eigenen Gestaltungsräume ein.
Deshalb also bitte endlich merken: Wer nicht will investieren, der muß reparieren.
Das Dumme ist nur, daß die Politiker und Politikerinnen leider ein wenig begriffsstutzig sind. Diese Begriffsstutzigkeit ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn an der Bildung gespart wird – alle sind offenbar negativ davon betroffen.
Es hilft also alles nichts, wir müssen es ihnen immer wieder ganz langsam vorbuchstabieren, damit sie es endlich begreifen. Gut hilft da wieder ein Merksatz – also bitte gut zuhören:
In die Bildung mußt du investieren, willst du den Etat sanieren.
Am besten gleich noch einmal, damit es sitzt:
In die Bildung mußt du investieren, willst du den Etat sanieren
Es war in den letzten Tagen ziemlich kalt in Hamburg – tun wir den Politikern und Politikerinnen einen Gefallen: Heizen wir ihnen ein!