Nach der zuletzt von uns herausgegebenen Pressemitteilung nehmen wir nun detailliert Stellung zu den Referentenentwürfen der Hamburger Bildungspläne: Von Erwartungen und Anspruch, über Kritik bis zu konstruktiven Vorschlägen zum weiteren Vorgehen.
Bereits in unserer Pressemitteilung vom 01.06.2022 formulierten wir unsere wahrgenommene Diskrepanz zwischen selbst formulierten Ansprüchen an die Bildungspläne im Allgemeinen Teil (A-Teil) und der weiteren Ausgestaltung. Damit schlossen wir uns dem Tenor der bis dahin bereits veröffentlichten Stellungnahmen anderer Gremien und Interessenverbände an.
Generell begrüßen wir, wie auch viele der Gremien und Interessenverbände, die Überarbeitung der aktuell gültigen Bildungspläne. Die Änderungen erscheinen uns angesichts des sich beschleunigenden gesellschaftlichen Wandels, einer Erhöhung der Diversität, aktueller globaler Herausforderungen und einer dynamischen Kultur der Digitalität
geboten.
Auf Grundlage der Auswertung der Ergebnisse einer Umfrage an Hamburger Stadtteilschulen, an denen sich viele Elternräte – teilweise in direktem Austausch mit ihren Schulleitungen – beteiligten, fassen wir in unserer jetzigen Stellungnahme die daraus gewonnenen Ansichten zusammen.
Im Folgenden finden Sie dazu einen kurzen Auszug. Die vollständige Stellungnahme können Sie hier herunterladen:
Allgemeiner Teil (“A-Teil”)
Die im A-Teil dargelegten drei Leitperspektiven „Wertebildung / Werteorientierung“, „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ und „Leben und Lernen in einer nachhaltigen Welt“ entsprechen nach unserem Verständnis dem eingangs formulierten Anspruch. Eine in den Bildungsplänen festgelegte grundsätzliche Förderung der sprachlichen Bildung ist eine wichtige Voraussetzung, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden.
Kritisch betrachten wir insbesondere die mangelnde Berücksichtigung inklusiven Unterrichts, was insbesondere die Stadtteilschulen benachteiligen wird. Und selbst der bundesweit als wichtig empfundene Punkt der Digitalisierung an Schulen (in seiner ganzen Komplexität von Hardware, Pädagogik bis hin zur Kompetenzvermittlung) verbleibt als kaum wahrnehmbarer Schatten versteckt zwischen den Zeilen des A-Teils.
Es scheint, als hätte man aus den Zeiten der Corona-Pandemie (und der überraschten Wahrnehmung, wie weit etwa die Ukraine im Punkt Digitalisierung an Schulen ist) nur wenig gelernt. Und auch die Pandemie selbst, deren Folgen für die Schülerschaft uns wahrscheinlich noch ein paar Jahre begleiten werden, wird nicht wie von uns erwartet berücksichtigt.
Auch wenn wir gute erste Schritte im A-Teil wahrnehmen könnten, so besteht, formulieren wir es positiv: Ausbaupotential. Die Richtung stimmt, aber das Ziel ist noch nicht erreicht.
Bildungspläne – Kompetenzen und Inhalte
Als Eltern – und somit Laien im Bildungswesen – fällt uns eine tiefgreifende und fundierte Bewertung der Ausprägungen in den Bildungsplänen hinsichtlich Kompetenz- und Inhaltsvermittlung schwer. Nichtsdestotrotz entspricht unsere subjektive Wahrnehmung der “Stoffüberfrachtung” im Unterricht der uns zugetragenen und in Stellungnahmen formulierten Meinungen der Fachleute aus Schul- und Abteilungsleitungen, didaktischen und Fachleitungen und den Lehrkräften.
Als Eltern von Kindern an Stadtteilschulen, wissend über die Heterogenität der Schülerschaft von zu fördernden bis hin zu fordernden Schüler:innen sehen wir hier eine große Gefahr. Ein Mehr an explizit vorgegebenen Unterrichtsinhalten nimmt den Stadtteilschulen den notwendigen Freiraum, um die Schüler:innen individuell zu beschulen und jeweils zum bestmöglichen Schulabschluss zu führen. Sei es ESA, MSA oder Abitur.
Hierzu formulieren wir in unserer Stellungnahme Vorschläge, auf welchem Weg dieser von uns und den Fachleuten wahrgenommenen Gefahr begegnet werden kann, um so das Beste für alle Schüler:innen für die nächsten Jahre zu ermitteln. Dies unter dem von uns begrüßten Anspruch, bundesweit vergleichbare Abschlüsse zu erreichen, ist sicherlich eine Herausforderung – aber wir halten sie für machbar.
Leistungsbewertung
Ähnlich wie zum Punkt “Bildungspläne” formuliert, sehen wir in den Änderungen im Bereich Klausurersatzleistungen, sogenannter “Besonderer Lernaufgaben” und der Neugewichtung von mündlichen und schriftlichen Leistungen in der Notenfindung eine Benachteiligung insbesondere der Schüler:innen an Stadtteilschulen. Die fest verdrahteten Vorgaben lassen den Stadtteilschulen kaum Raum, um nicht nur selbstverantwortlich auf die heterogene Schülerschaft zu reagieren, sondern auch entsprechend agil in Anpassung auf das Umfeld der Schule zu sein.
Selbst wohlklingende Ansprüche wie die Verbesserung der Rechtschreibkompetenz entpuppen sich als Erhöhung des Drucks auf Schüler:innen, die vielleicht gerade wegen einer Leserechtschreibschwäche (LRS) an der Stadtteilschule auf den für sie bestmöglichen Abschluss hoffen und sich mit all ihren Kompetenzen in anderen Bereichen erfolgreich einbringen.
Wie auch zum Punkt “Bildungspläne” erwarten wir hier ein gesundes Maß an Flexibilität, die es den Schulen ermöglicht, selbstverantwortlich die Schüler:innen nach bestem Wissen zu fördern – und wie wir immer wieder gerne betonen: zu fordern.
Unser Fazit
Wir erwarten von den neuen Bildungsplänen, dass diese mutig nach vorne gewandt sind und für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahren die Grundlage schaffen, Schüler und Schülerinnen zu selbstständigen und verantwortungsvollen jungen Menschen auszubilden. Die Entwürfe der Hamburger Bildungspläne stellen aus unserer Sicht einen ersten wichtigen Schritt in diese Richtung dar.
Trotz der ersten guten Ansätze haben wir als GEST einige Kritikpunkte. Die hohe Stofflastigkeit und die damit verbundenen gravierenden Einschränkungen der notwendigen Flexibilität für Projektunterricht und Profilbildung bergen hohe Gefahren für den Bildungsauftrag an Stadtteilschulen. Hier muss nochmals exakt geprüft werden, was wirklich auch im Rahmen der KMK-Vorgaben notwendig ist.
Des Weiteren sollten Themengebiete wie Inklusion/Integration und Digitalisierung eine stärkere Verankerung sowohl im A-Teil als auch in den Inhalten der Bildungspläne erhalten.
Die Bedeutung der neuen Bildungspläne ist für die Zukunft unserer Schülerinnen und Schüler in Hamburg elementar; daher wäre es hilfreich, den aktuellen Zeitdruck zu prüfen. Eine Möglichkeit ist, wo dies sinnvoll und zielführend erscheint, die Zeitschiene aufgrund der Vielfalt und Komplexität der anstehenden Aufgaben um zwölf
Monate zu verlängern.
Die vollständige Stellungnahme nochmals zum Download: